Bin ich für eine Band geschaffen?

In meinen jungen Zeiten war es mir nie in den Sinn gekommen, dass es fast unmöglich ist, in einer Band zu spielen ohne den üblichen zwischenmenschlichen Knatsch. Sogar eine Beziehung mit einer Frau schien mir das Tollste, die Schmetterlingsgefühle halten an, die Kinder sind alle wunderbar, man altert in Würde und wird als weiser alter Mann respektiert und geachtet…

Soweit die Theorie. Heute weiss ich, dass Partner sich manchmal fast gegenseitig umbringen könnten, die Tassen fliegen lassen und krasse Worte benutzen. Die Kinder nörgeln, teilen gewaltig aus und am Ende bin ich anstelle eines weisen Mannes, ein alter weisser Mann. Jeder der schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat, kennt diesen Sachverhalt und es ist ja schön, dass es noch junge Menschen gibt, die noch an das Gute glauben und mit voller Hoffnung in den Sonnenuntergang reiten.

Wo liegt das Problem? Egal ob Band, Beziehung, Firmengründung, Verein, Arbeitsplatz, ich bin sicher, ich habe noch nie jemanden getroffen, der nicht genervt ist von der Frau, vom Bassisten, vom Chef, vom Geschäftspartner etc. Die drei grossen «E»s spielen eine sehr wichtige Rolle: Erwartungen, Emotionen, Enttäuschungen. Wir haben alle ein gewisses Rollenbild vor Augen, sind mehr oder weniger emotionell, haben Angst vor Enttäuschungen und erwarten ein reibungsloses Projekt. Achtet mal in den Online-Foren, wo ein User über ein Thema eine Frage stellt und nach ca. 10 Antworten geht der Krach so richtig los. Anstatt die Frage zu beantworten, beharrt jeder auf seiner Meinung und wer denkt eine Diskussion bringt Lösungsansätze, der irrt gewaltig, auch wenn die Welt dies uns vorgaukeln will. In einer Diskussion beharrt jeder mal auf seinem Standpunkt. Wie kann jemand, den ich kaum kenne, ein neues Bandmitglied oder ein Leserbrief-Schreiber meinen Standpunkt, der sich über mehrere Jahre gefestigt hat, einfach so über Bord werden. Das würde ja heissen, dass ich 63 Jahre falsch gelegen bin, nicht mit mir… Klar, gibt es am Schluss einen Konsens, einen Kompromiss, damit der Karren weiterläuft, doch insgeheim kann selten die Meinung eines anderen geändert werden.

So richtig los geht’s wenn dann Politik und Religion mit ins Spiel kommt. Beziehen wir dies auf eine Band, so liste ich euch mal wertfrei auf, wo überall Minen und Stolpersteine versteckt sind:

  • Pünktlichkeit
  • Alkohol, Drogen
  • Disziplin
  • politische Orientierung
  • sexuelle Orientierung
  • Ansichten über Kindererziehung
  • Musikstil
  • Outfit, Kleider
  • Geldfragen, Ansichten über Status
  • Gagenforderungen
  • Profi-Level oder nicht
  • Auftrittshäufigkeit
  • Probenhäufgkeit
  • Ämtliverteilung
  • Musikalität
  • Ich will singen (kann es aber nicht)
  • Rolle des Bandleaders und wer ist es
  • Partner dürfen mit zur Probe oder nicht
  • Autos, Reisen, Status, Lebensstil
  • Anlagen Kaufen oder mieten
  • Geld verteilen oder Rücklagen bilden
  • Für die SVP mach ich keinen Auftritt, der andere nicht für die SP
  • Körperhygiene
  • und und und

Vermutlich werden sie bei einigen Punkten schmunzeln, aber jeder noch so kleiner Punkt kann zu einem Pulverfass werden. Stellen sie sich einen Buchhaltertypen bzw. einen Perfektionisten (Gitarre) vor, der sich mit einem Aktivisten (Bass) und einem Haudegen (Drums) zusammentut, weil es musikalisch so toll passt. Ebenfalls sind die ersten Proben himmlisch, jedes Riff sitzt und die Vorfreude auf den ersten Gig ist gross. Nun folgt bald die Ernüchterung. Der Aktivist nimmts locker, raucht einen Joint (im Pröbi, das gleichzeitig das Unterrichtslokal ist…), findet Geldfragen, Gagen oder Rücklagen krass kapitalistisch, kommt immer zu spät während der Haudegen mal die Probe absagt, weil er gerade in seiner Stammkneipe einen hebt. Ebenfalls hält der Haudegen seine Partnerin an der kurzen Leine, was den Aktivisten nervt, dieser aber aus Umweltschutzgründen auf Dusche, Deo und Schampoo verzichtet, was den Buchhalter durch die Decke gehen lässt. OK wechseln wir das Team aus in der Hoffnung, es wird schon gut. Schon bei der nächsten Besetzung geht es in einer anderen Meinungs-Konstellation wieder von vorne los.

Wenn sie jetzt denken, dass ich das erfinde, so kann ich ihnen sagen, ich habe in den zig Jahren schon so viel erlebt, dass man sich die Augen reibt. Sei es an einem Hochzeitsgig, wo einer am Ende des Gigs sturzbesoffen die Hochzeitsgäste anmacht, irgendjemand hätte seine Sachen gestohlen. Oder der Choleriker, der auf der Bühne einen Tobsuchtsanfall kriegt, weil ich einen Song, dessen Intro ich gerade vergessen habe, überspringen will, was dann in einer Diskussion auf der Bühne ausartet. Selbstredend, dass der Gig für nächstes Jahr nicht mehr klar gemacht werden kann. Da gibt es den notorischen Zuspätkommer (Rolli, werde ein wenig lockerer, so ein wenig welsch, wie dein Nachname…), der sogar die Cuzpe besitzt, erst in der zweiten Hälfte des Gigs zu erscheinen, während wir beim Veranstalter leicht in Erklärungsnot geraten. Hier geht’s noch weiter: Als er eintrifft, stürmt er als erstes das Buffet, hockt sich mal gemütlich hin. Und da ist der Barfuss-Spieler, der darauf beharrt auch in einer gehobener Umgebung auf die Schuhe zu verzichten. Klar es hat nebenbei auch kaum Stolperfallen auf der Bühne und ich möchte seine Schweissfüsse nicht auf meinem Pedal, dass ich ihm geliehen habe. Ach ja und wie wärs mit dem Typen, bei dem vermutlich das Equipment während des Gigs den Geist ausgibt, weil er es gerne schrottig mag? Besser ist der Typ am Mikro, der anzügige Witze reisst und beim  Publikum für betretenes Schweigen sorgt.

Achtung: Die könnten ja alle auf eine Art richtig liegen und wenn ihresgleichen sich zusammentun könnte das erfolgreich werden, es geht nur um die Konstellation nicht um die Wertigkeit!

Zurück zum Zoff-Faktor: Wie machen es denn die Profis? Genau gleich! Sie verstecken  den Zoff besser, denn sie machen eine Profi-Show im Stadion und wissen, dass sie kein Sand in ein Goldesel-Getriebe streuen sollten. Man ist sich ja den Luxus gewöhnt. Und für Kohle pro Auftritt macht man gerne gute Miene zum bösen Spiel, während es hinter den Kulissen lodert.

Die Frage ist also nicht, wie man Knatsch in Beziehungen vermeiden kann, sondern wie tolerant bin ich, um damit zu leben und um das Ganze zu ertragen. Es gibt keine andere Lösung. Leider werde ich mit zunehmenden Alter nicht lockerer. Dies ist sicher traurig, aber es ist wie’s ist. So buche ich bei einer Giganfrage die Musiker, die gerade Bock haben den Gig zu spielen und poche darauf, dass auf der Bühne nicht diskutiert wird. Proben müssen wir auch nicht gross, da wir einmal auf einer gemeinsamen Ebene sind. Wir haben in etwa die gleichen Songs intus und haben sie Jahrzehnte geprobt.

Die beste Lösung, aber manchmal auch die Einsamste: Du bist Solo-Entertainer…